Authentizität ade: Was ist aus LinkedIn geworden?

Authentizität ade: Was ist aus LinkedIn geworden?

LinkedIn - einst die aufsteigende Plattform, in der man geschäftliche Kontakte knüpfte, einen neuen Job fand oder seine Karrieren vorantreiben konnte. Doch inzwischen? Es ist mittlerweile weniger ein Ort für professionelle Verbindungen, sondern mehr ein digitales Schauspiel, in dem jeder die Hauptrolle seines eigenen Bullshit-Bingos spielt. Willkommen bei LinkedIn im Jahr 2024 – einer Plattform, die sich vom Business-Netzwerk zum Cringe-Magneten entwickelt hat.

Vom seriösen Netzwerken zum Schauplatz der Übertreibungen

Früher war LinkedIn ein professioneller Ort:
Name: Hans Müller
Job: Produktmanager bei der Mustermann GmbH.
Ein solider Lebenslauf, ein klares „Hier bin ich“ – perfekt für Arbeitgeber oder neue Kontakte.

Heute hingegen hat sich Hans Müller neu erfunden:
Senior Visionary Global Impact Strategist for Sustainable Innovations with a Passion for Transformative Leadership.“
Klingt nach jemandem, der die Welt verändert, oder? Aber was tut Hans eigentlich den ganzen Tag? Seine Berufsbezeichnung liest sich wie ein Tornado aus Buzzwords, der über die Plattform hinweggefegt ist.

Warum LinkedIn oft mehr inszeniert als inspiriert

Die Entwicklung hin zu übertriebenen Titeln und erzwungenem Tiefgang begann schleichend: Ein bisschen Pathos hier, ein Hauch Übertreibung dort. Doch mittlerweile hat sich die Plattform zu einer Mischung aus Ego-Show und digitaler Performance entwickelt, bei der Fremdscham oft nicht weit ist.

Die Zutaten für das LinkedIn-Spektakel:

  • Pseudo-Inspirationsgeschichten:
    Geschichten, die wie ein Hollywood-Drehbuch wirken, sind allgegenwärtig.
    „Vor einem Jahr hatte ich nichts. Kein Geld, keinen Job, keine Hoffnung. Doch dann habe ich an mich geglaubt und heute leite ich ein Team von über 500 Menschen.“
    Beeindruckend? Vielleicht. Glaubwürdig? Eher selten.
  • Erzwungene Tiefgründigkeit:
    Ein Beförderungspost reicht nicht mehr. Alles wird zur Lebensweisheit.
    „Heute habe ich eine Taube gesehen, die trotz des Regens flog. Das erinnert mich daran, wie wichtig es ist, auch in schwierigen Zeiten durchzuhalten.“
    Möge uns allen die innere Taube beistehen.
  • Buzzword-Explosionen:
    Der gute alte „Recruiter“ ist passé. Heute heißen sie „People Whisperers“, „Talent Magnets“ oder „Human Capital Alchemists“. Was das konkret bedeutet, bleibt oft unklar – klingt aber wichtig.

Klassische Beispiele aus der LinkedIn-Theaterkiste

LinkedIn bietet uns nicht nur Material für berufliche Inspiration, sondern auch für Unterhaltung:

  • Die Hollywood-Arbeitsepisoden:
    „Heute habe ich meinem Team gesagt, dass Fehler okay sind. Es gab Standing Ovations, und mein Praktikant hat geweint. Genau für solche Momente arbeite ich.“
    LinkedIn oder ein Netflix-Drehbuch?
  • Die Selbstbeweihräucherung:
    „Heute feiere ich mich selbst. Vor einem Jahr habe ich meinen sicheren Job aufgegeben, um meiner Leidenschaft zu folgen. Ich bin so stolz auf mich. Danke, ich!“
    Gratulation, wir freuen uns alle… mehr oder weniger.
  • Poesie für den Karriereweg:
    „It’s not about the title. It’s about the fire inside, the spark that leads to change.“
    Beeindruckend, aber was genau hat das jetzt mit deinem neuen Job als HR-Manager zu tun?

Warum sind wir so weit gekommen?

Die Entwicklung von LinkedIn zur Bühne des Übertriebenen ist kein Zufall. Zwei Hauptfaktoren spielen dabei eine Rolle:

  1. Plattform-Mechanik:
    Sichtbarkeit ist auf LinkedIn alles. Wer nicht auffällt, verschwindet im Datenstrom. Die Algorithmen belohnen Inhalte, die Interaktionen hervorrufen – und wie erreicht man das am schnellsten? Durch Drama, Superlative und ein bisschen Tiefgang, auch wenn er konstruiert ist.
  2. Der Wunsch nach Anerkennung:
    Menschen wollen gesehen werden, besonders auf LinkedIn, wo berufliche Erfolge die Währung sind. Doch in einer Kultur des Vergleichens entsteht Druck: Wer sich nicht besonders erfolgreich oder inspirierend präsentiert, droht unterzugehen. Also inszenieren wir uns selbst.

Das Ergebnis? Je mehr Nutzer diesen Stil übernehmen, desto „normaler“ wird er. Was früher überzogen wirkte, gilt heute als Standard. Die Plattform wird zu einer Bühne, auf der Selbstvermarktung manchmal wichtiger ist als echte Inhalte

LinkedIn zurück zur Authentizität: Geht das?

LinkedIn könnte so viel mehr sein. Es sollte ein Ort für echte Verbindungen und berufliches Wachstum bleiben, doch momentan fühlt es sich an wie ein digitaler Maskenball. Die bunteste oder tiefgründigste Maske gewinnt – oft auf Kosten der Authentizität.

Was wäre, wenn wir zurück zu den Basics gehen?

  • Ehrliche Jobtitel.
  • Klare, reale Geschichten.
  • Keine Tauben-Metaphern oder aufgeblasene Phrasen.

Echtheit wird wieder wertvoller, je mehr sie verloren geht. Stattdessen könnten wir LinkedIn wieder zu dem machen, was es sein sollte: eine Plattform, die Verbindungen schafft und Karrieren fördert.

Wenn du das nächste Mal überlegst, einen 15-Wörter-Jobtitel oder eine tiefgründige Metapher zu posten, frag dich: Ist das wirklich nötig? Vielleicht liegt die wahre Stärke darin, einfach zu sein, wer du bist – ohne große Inszenierung. Und für die, die dennoch Lust auf die nächste Highperformer Story haben? Macht weiter so. Ihr sorgt zumindest für die Unterhaltung.